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Vote Or Die (Or Don't)

27/9/2015

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Das Spannende an meinem Beruf als Lehrperson ist ja, dass ich viele der Dinge, die in der Welt abgehen, in einer kleineren Dimension im Klassenzimmer beobachten kann.

Auch die Politik findet so indirekt in den Unterricht. Ich spreche hier logischerweise nicht von Parteibesprechungen oder Analysen von KandidatInnen (was ich nur sehr bedingt objektiv machen könnte und auch wollte), sondern vom Abstimmungsverhalten. Ich gebe den SchülerInnen nämlich im Musikunterricht bei der Liederauswahl immer ein Mitbestimmungs- und Wahlrecht.

Zunächst können sie mal mitbestimmen, welche KandidatInnen (i.e. Songs) an die Wandtafel kommen (da haben sie jedoch nur ein Teil-Wahlrecht, da ich zuerst die Fähigkeit der KandidatInnen abschätzen muss und schliesslich nur die qualifiziertesten an die Wandtafel schreibe); worauf ein klassisches Abstimmungsverfahren folgt – ganz im Sinne unserer demokratischen Tradition.

Die Wahlbeteiligung in der Aula ist ziemlich hoch und wer sich nicht beteiligt, dem wird meistens (von den Schüler*innen selbst) eingebläut, wie wichtig wählen ist. Teilweise kommt es auch vor, dass ich ihnen anhand einer spezifischen Situation erklären kann, dass einzelne Stimmen tatsächlich eine Wahl entscheiden können. So sind am Schluss alle (mehr oder weniger vernünftigen) Anwesenden einverstanden, dass das Recht zu wählen eher eine Pflicht ist, welcher man nachkommen sollte – vielleicht nicht ganz so extrem, wie von der „Vote or Die“-Kampagne, die ein paar namhafte Musiker vor ungefähr einem Jahrzehnt mal gestartet hatten, gefordert wird, aber doch eben eine ziemlich wichtige Sache.

Nun ist die Angelegenheit mit dem Wählen jedoch etwas verzwickter: Denn manchmal ergeben sich im Unterricht seltsame Wahlergebnisse; wenn beispielsweise eine rebellische Knabenpartei durch gezieltes Lobbying die Ergebnisse so manipuliert, dass schlussendlich ein Kandidat gewählt wird, der eigentlich von niemandem wirklich gewählt werden wollte. Das hat damit zu tun, dass für diese Partei nicht das Resultat das Ziel ist, sondern die (Schaden)Freude am destruktiven Prozess.

(Auch hier funktioniert die Analogie übrigens: Denn auch im echten Politbetrieb gibt es "alternative Parteien" und "volksparteiliche Wähler*innen", welche lediglich als Opposition auftreten wollen, ohne tatsächlich Lösungen für die existierenden Probleme zu besitzen...)

Aber auch weniger hinterlistige Wahlverläufe kann man als Lehrperson beobachten: Die Übermacht von angesehenen Wählern, welche andere, meist unentschlossene Wähler mitziehen können, oder die ausbleibende Zusammenarbeit (und damit verbunden: fehlende Kompromissbereitschaft) mit anderen Parteien. Sogar Parteispaltungen kann man im Unterricht beobachten. Allerdings fusionieren diese Parteien in kurzer Zeit wieder – auch wenn die Diskussionen während oder nach den Wahlen teilweise an die Heftigkeit einer echten Parlamentsdebatte erinnern.

Jedenfalls sorgen solche und ähnliche Situationen dazu, dass man als Aussenstehender die Demokratie gelegentlich infrage stellen muss: Wäre es womöglich nicht sinnvoller, gewissen Leuten kein Stimmrecht zu geben, weil sie zu wenig reflektiert abstimmen, sich zu leicht beeinflussen lassen oder schier zu dumm für's Wählen sind?

Oder konkreter auf den Unterricht bezogen: Sollte man denjenigen Schüler*innen nicht eine stärkere (also bspw. doppelte) Stimme geben, von welchen man weiss, dass sie gut mitmachen und grundsätzlich auch mehr Freude am gewählten Song haben als diejenigen, die sowieso alle Wahloptionen gleichermassen lästig finden und per se boykottieren?

Und hinsichtlich der anstehenden kantonalen Wahlen und Abstimmungen: Kann es sein, dass gewisse Parteien mit einem massiv höheren Budget, mit perfiden Vereinfachungen von komplexen Themen, mit Schüren von Angst oder Hass, mit manipulativem Vorgehen oder mit vagen oder gar falschen Versprechen Wahlen dominieren und gewinnen können? Kann es sein, dass ein Professor für Politikwissenschaften die gleiche Stimme erhält wie jemand, der sich willkürlich für eine Partei entscheidet, weil er von übermässig vielen Wahlplakaten beeinflusst wird oder Kandidat*innen nach ihrem Äussern wählt? Kann es sein, dass ein Mittzwanziger das gleiche Stimmrecht hat wie ein Greis, obwohl der eine noch viel länger mit den Entscheidungen der Wahlen leben muss, während der andere, aller Voraussicht nach, sich nicht mehr gross mit der Zukunft der Menschheit befassen muss?

Eines liegt sicherlich auf der Hand: Die Demokratie ist keine perfekte Staatsform. Gäbe es unbestechliche, herzensgute, gebildete und gerechte Diktatoren, dann wäre vielleicht sogar eine Diktatur eine bessere Alternative. Da wir aber nicht auf so etwas zählen können und viele Personen in solchen Führungspositionen sich mit unlauteren Mitteln hochgearbeitet haben oder in andere korrupte oder zumindest unethische Machenschaften verwickelt sind, bleibt uns nur die Demokratie übrig, wo teilweise halt Gesetze angenommen werden, die so gar nicht sozial, nachhaltig oder gerecht sind (wie wir in der Geschichte der Schweizer Politik auch einige Beispiele finden).

Die Demokratie ist ein Kompromiss. Zwar den besten, den wir haben, aber gleichwohl ein Kompromiss. Und aus diesem Zugeständnis müssen wir das Beste machen, was in unserer Macht steht. Das bedeutet halt auch, dass wir uns informieren müssen (Smartvote, Umweltrating etc.), dass wir darüber diskutieren müssen, dass wir uns mit dem innenpolitischen und globalen Geschehen befassen müssen, und schliesslich eben auch: dass wir wählen gehen müssen. Denn wir haben jetzt die Möglichkeit etwas zu bewirken, die Welt (zumindest im Kleinen) zu verändern; bevor wir dann wieder vier Jahre warten müssen. Auch wenn wir uns am Schluss wohl mit einem Kompromiss zufrieden geben müssen; hoffentlich aber mit dem besten, den wir haben.

Aus diesem Grund bin ich heilfroh, dass die Konsequenzen und die Reichweite der Entscheidungen im Musikunterricht nicht gerade von beachtlichem Ausmass sind. Denn sollte in der Aula ein mühseliger und unvorteilhafter Kandidat ausgewählt worden sein, so ist dessen Amtszeit immerhin nach drei, vier Minuten vorbei, und es folgt jene (genauso kurze) eines anderen Kandidaten – und damit die Hoffnung, dass jene Wahl ein besserer Kompromiss war.

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    SaoiAebi

    Lebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so.

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