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Generation Weltschmerz

14/7/2019

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Ich habe Angst vor dem Sommer.

Diese Worte sagte mir eine Kollegin letzten Winter, als wir gerade unser Projekt #NachhaltigAir lanciert hatten.

Auch wenn man diesen Satz auf unterschiedlichste Weisen verstehen könnte, wusste ich sofort, was sie damit meinte: Ich habe Angst vor dem Sommer, weil er eine Erinnerung daran ist, dass die Erde immer wärmer wird und der Klimawandel stetig voranschreitet – und weil jeder kommende Sommer noch heisser werden könnte als der vorangegangene.

Dieses diffuse Gefühl von Angst ist besonders nachvollziehbar, weil viele von uns den Hitzesommer 2018 noch gut in Erinnerung haben (ich war ja zu diesem Zeitpunkt gerade für Veganaut in Berlin unterwegs, wo es die heisseste Nacht seit Messbegin gab). Ausserdem konnte man ja auch anfangs Jahr in zahlreichen Zeitungen nachlesen, dass 2018 insgesamt das viertwärmste Jahr seit Beginn der Temperaturmessungen war.

Angesichts dieser Tatsachen erstaunt es nicht, dass die umweltbewussteren, aufmerksameren oder nachdenklicheren Menschen unter uns eine gewisse Gemütsverstimmung verspüren, wenn sie wahrnehmen, auf welche Klimakrise wir da gerade zureiten. (Mehr zu den Gründen, wieso der Klimawandel so problematisch ist, findet ihr in folgendem Video meines Youtube-Channels.)

Kommt dazu, dass wir ja auch in einer Migrationskrise stecken, in welcher es zwar massiv weniger Flüchtlinge nach Europa schaffen, aber trotzdem immer noch ähnlich viele Leute auf dem Mittelmeer ertrinken oder in Flüchtlingslager gesteckt werden, wo sie anschliessend gefoltert und vergewaltigt werden.

Ausserdem sind viele Staaten stark verschuldet (oder gar kurz vor dem Bankrott), die Überbevölkerung macht uns und dem Planeten zu schaffen, immer mehr Länder haben Autokraten an der Macht, China entwickelt sich zu einem regelrechten Überwachungsstaat (und andere Staaten schauen mit Bewunderung zu), die Verteilung des Vermögens weltweit wird immer extremer (i.e. die Reichen werden immer noch reicher – übrigens auch bei Unternehmen), immer mehr Jobs fallen weg aufgrund der Digitalisierung, Entwicklungsländer und deren Bevölkerung werden massiv für unsere unbeschwerte Konsumfreudigkeit ausgebeutet, Ressourcen wie Trinkwasser werden immer knapper, Milliarden von nicht-menschlichen Lebewesen leiden und sterben jährlich weltweit...

All diese Dinge könnten (und sollten?) uns an den Rand der Verzweiflung bringen.


Wenn also zahlreiche Medienportale von der Generation Klimastreik sprechen, muss man ehrlichkeitshalber im gleichen Atemzug auch von der Generation Weltschmerz sprechen.

Denn ist es nicht in gewisser Weise gerade der Weltschmerz, der die Klimajugend antreibt?




Natürlich gibt es den Begriff des „Weltschmerzes“ nicht erst seit dem 21. Jahrhundert. Er geht zurück auf die Epoche der Romantik, in welcher Dinge wie Sehnsucht, Leidenschaft, Sensibilität, Fernweh und Weltflucht gross geschrieben wurden. Dementsprechend stammt auch eine erste aufgeschriebene Definition dieses Wortes aus jener Zeit: Weltschmerz wird im Deutschen Wörterbuch von den Gebrüdern Grimm als „tiefe Traurigkeit über die Unzlänglichkeit der Welt“ bezeichnet.

Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass es ja die "Generation Weltschmerz" bereits in der Romantik gegeben hat und wir höchstens die Generation Weltschmerz 2.0 wären, aber erstens wurde jener Begriff damals nicht über eine ganze Altersgruppe gestülpt (man hatte mit „Romantiker“ ja schon eine treffende Bezeichnung) und zweitens ist der Weltschmerz heute irgendwie realer.

Damit meine ich, dass man damals zwar zweifellos dieses Gefühl von Melancholie und Schwermut kannte, aber teilweise doch auch bei Kleinigkeiten hängen blieb. Jeder, der mal „Die Leiden des jungen Werther“ lesen durfte, weiss, wovon ich spreche...

Der Grundstein für die Entstehung des Weltschmerzs hat erst die Industrialisierung gelegt.

Natürlich brachte diese zwar einerseits eine Erleichterung der Arbeit und eine massive Produktionssteigerung, aber verursachte andererseits eben auch viele Probleme, welche man zu jener Zeit noch nicht erkannte (unter anderem die ganze Klimawandel-Thematik). Der durch die Industrialisierung begünstigte Kapitalismus war diesbezüglich ebenfalls nicht unbedingt förderlich.


Mein Hauptargument, weshalb wir heute den Weltschmerz besonders stark wahrnehmen, hängt aber primär mit der Globalisierung und vor allem der Digitalisierung zusammen.

Denn früher vernahm man in der Regel lokale und nationale Nachrichten. Die Möglichkeit via Live-Cam die Polarkappen schmelzen zu sehen oder einen TED-Talk über Kinderarbeit in Kobalt-Minen für die Smartphone-Produktion zu streamen, gab es ohne Internet praktisch nicht.
Ausserdem wurden früher viele Arbeiten noch lokal verrichtet (für Möbel, Hausfassaden etc. verwendete man bspw. Holz aus der Umgebung, welche in lokalen Schreinereien verarbeitet wurden) und auch landwirtschaftliche Produkte stammten aus der Region (eingeflogene Maracujas oder südamerikanisches Kraftfutter für die Viehzucht gab es definitiv noch nicht auf dem Wochenmarkt). Und da man früher einen grösseren Dorfzusammenhalt hatte, schaute man auch drauf, dass es den Leuten in der Community gut ging.

Dass wir heute gerade die Meere leerfischen oder die letzten Urwälder der Welt roden, weil wir gerne Lachs im Sushi, Shrimps auf der Pizza oder Schinken, Käse und Co. im Brot haben, scheint uns nur so halbwegs zu stören. Aber wehe, jemand will einen Baum im Dorfzentrum fällen oder wirft eine Plastikverpackung in den Fluss – dann sind viele von uns sogleich mit erhobenem Zeigefinger zur Stelle.


Wir sind also die erste Generation, die diese aus dem Ruder gelaufenen Dinge in ihren ganzen Dimensionen wahrnehmen – und zwar weltweit und in zahlreichen Lebensbereichen.

Man könnte sagen, dass dies die Entfremdung unserer Generation von der Entfremdung der Generation unserer (Gross)Eltern war.

Denn würde man heute Landwirtschaft oder die Kleidungsindustrie neu planen oder erfinden, würde garantiert niemand mehr Massentierhaltung mit zusammengepferchten Lebewesen, Monokulturen mit massivem Pestizideinsatz oder gigantische Textilfabriken mit unterbezahlten Näherinnen vorschlagen, weil wir uns im Verlauf des letzten Jahrhunderts massiv weiterentwickelt haben, was unsere „geistige Evolution“ betrifft (besonders in indusrialisierten Demokratien).

Andererseits sind wir auch mit einem gewissen Wohlstand und Luxus aufgewachsen und wollen auf diese Freiheiten (Fleisch, Fliegen, Fashion etc. - und zwar möglichst viel davon!) nicht verzichten. Daraus resultiert eine kognitive Dissonanz, welche bei einigen zu einem latenten Unwohlsein führen kann.


Leider führt dieser Weltschmerz bei der Mehrheit der Bevölkerung eher zu einer Art Klimaresignation oder -kapitulation, welche die Menschen eher passiv, nihilistisch oder gar fatalistisch macht.

Dies kann wiederum den Weltschmerz derjenigen verstärken, die versuchen, die Probleme der Welt zu lösen (getrieben von der „Klimatångest“, wie es im Schwedischen schön heisst) und  gegen diese Gleichgültigkeit und Lethargie der breiten Masse ankämpfen müssen.


Und darin liegt eben auch die (einzige?) Chance im Weltschmerz; dass sie uns als treibende Kraft hilft, die Probleme der Welt wirklich in Angriff zu nehmen.

Dafür brauchen wir aber eine breit gestütztere Bewegung als ein paar idealistische Klimastreik-Jugendliche an weiterführenden Schulen (auch wenn deren Wirkung auf die Politik und Geselleschaft schon beachtlich war); denn genausogut könnte man die heutige Generation auch als Generation Easyjet, Generation Gym oder Generation Streaming bezeichnen (was vermutlich realistischer wäre...).
Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen wir dringend neue Strategien, um jene unpolitischen und inaktiven Leute an Bord zu holen, die angesichts der bevorstehenden Katastrophe irrationalerweise mit Gleichgültigkeit und Zynismus reagieren (leider weiss niemand so recht, wie und ob dies möglich ist).



Von da her würde ich mir wünschen, dass wir nicht bloss als Generation Weltschmerz in die Geschichte eingehen, sondern dass wir unseren Weltschmerz überwinden (ohne ihn jedoch zu verdrängen!) und eine aktivere und aktivistischere Rolle in der Gestaltung unserer Zukunft einnehmen.

Auf dass kommende Generationen den Sommer nicht mehr so fürchten mögen...
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    SaoiAebi

    Lebenskünstler, Philosoph, Querdenker, Katzenfreund, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so.

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